Traditionelle Chinesische Medizin (TCM)
(eine kleine Einführung)
Fernöstliche Heilmethoden werden von Heilpraktikern und Ärzten,
inzwischen auch von spezialisierten Kliniken angeboten. Allen voran
findet die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) seit Jahren immer mehr
Anhänger. Die TCM beinhaltet aber viel mehr als nur populäre
Techniken wie Akupunktur, Tai Chi Chuan oder Qi Gong, sie ist ein eigenständiges,
ganzheitliches Diagnose- und Therapiesystem von hohem Wert und seit Jahrtausenden
bewährt.
Im alten China wurden Ärzte nur solange honoriert, wie ihre Patienten
nicht krank wurden. Ärzte, deren Patienten aufgrund schlechter Behandlung
starben, hängte man sogar einen roten Lampion an die Tür. Wer
also mehrere dieser Laternen an seinem Haus zu hängen hatte, tat
besser daran, umzuziehen. An einer wirkungsvollen Vorbeugung waren
aus diesem Grund die Behandler besonders interessiert. Nach dem
Shurai, einem 3000 Jahre alten Buch, wurde einem Arztphilosoph das
höchste Ansehen zuteil weil er die harmonische Ordnung der Welt und
des menschlichen Lebens lehrte. Da auch das Essen primär der Gesunderhaltung
diente, folgte der Nahrungsarzt gleich hinter ihm in der sozialen
Hierarchie. Der Chirurg und der Allgemeinmediziner, die nur bei schweren
Verletzungen und bestimmten Leiden eingriffen, genossen nur geringere
Bedeutung.
Die Prävention, also die Vermeidung von Krankheiten,
ist heute noch das zentrale Anliegen der Traditionellen Chinesischen Medizin
(TCM). Obwohl sie auch in ihrer Heimat um die Jahrhundertwende zeitweise
als rückständig galt und durch die westliche Wissenschaft verdrängt
zu werden drohte, folgte unter Mao Tse Tung eine Rückbesinnung auf
die eigenen Ursprünge. Die damals eingeleitete Renaissance hält
an und sichert der TCM auch im modernen China einen festen Platz im Therapieangebot.
Über die USA fand die TCM in den vergangenen Jahren den Weg nach
Deutschland und wird hier als "alternative" Heilweise immer beliebter.
Yin
und Yang
Nur selten aber wird die TCM hierzulande als
das komplexe, ganzheitliche Diagnose- und Therapiesystem begriffen, das
sie ihrem Wesen nach ist. Viel häufiger werden einzelne Verfahren
aus dem Zusammenhang gerissen und zu bloßen Techniken degradiert,
einen Umstand, den man den oberflächlichen Medien zu verdanken hat.
Im ungünstigsten Falle verkommt Tai Chi Chuan zum Schattenboxen,
Qi Gong zum Kugelrollen und Akupunktur zur Nadelstecherei nach "Kochbuch".
Tatsächlich gibt es eine wachsene Zahl vopn Ärzten die nach
dem Verfahren: "Beschwerde nachschlagen, Punkt nachlesen und stechen"
arbeiten. Natürlich nur mit seltenen Erfolgen. Diesen Therapeuten
kommt es in erster Linie darauf an, dass sie Patienten das anbieten können,
wonach sie fragen. (nach der Ausbildung traut sich sowieso kein Patient
zu fragen)
Den Chinesen sind analytische Vorstellungen vom
Leben fremd. Sie betrachten den Menschen als selbstverständliche
Einheit von Körper, Seele und Geist und sehen auch Mystik und Wissenschaft
nicht als unvereinbare Gegensätze. Der Mensch ist Teil einer umfassenden
kosmischen Ordnung, die alles mit allem verbindet. Alle Erscheinungen
der äußeren und inneren Natur unterliegen der Polarität
von Yin und Yang, zwei widerstreitenden Tendenzen, die dennoch zusammengehören,
da die eine nicht ohne die andere sein kann. (siehe Abbildung) Den fließenden
Übergang beider Aspekte ineinander, die kleinen Kreise in gegensätzlicher
Farbe zeigen an, daß Yin stets auch etwas Yang enthält und
umgekehrt.
Alle Phänomene, auch der menschliche Körper,
seine Organe und Funktionen lassen sich einem der beiden Pole zuordnen.
Idealerweise befinden sie sich in einem dynamischen Gleichgewicht. Gewinnt
eine der Kräfte dauerhaft die Oberhand, ist Krankheit die zwangsläufige
Folge. (siehe Tabelle). Die endgültige Trennung von Yin und Yang
führt zum Stillstand und damit schließlich zum Tod.
YIN |
YAN |
wird
assoziiert |
mit
z.B. |
die schattige
Seite des Hügels |
die sonnige
Seite des Hügels |
Kälte |
Hitze |
Ruhe |
Bewegung |
Dunkelheit |
Helligkeit |
Passivität |
Aktivität |
weiblich |
männlich |
|
|
typische
YIN-Störungen |
typische
YAN-Störungen |
niedriger Blutdruck |
hohem Blutdruck |
Müdigkeit |
Reizbarkeit |
Blässe |
Entzündungen |
Für den chinesischen Arzt ist Krankheit nicht die Wirkung einer bestimmten
Ursache, sondern ein, die gesamte Persönlichkeit des Patienten durchziehendes
Muster der Disharmonie. Hauptaufgabe des Therapeuten ist es, in der Vielzahl
der beobachteten Zeichen und Symptome das individuelle Grundmuster des
Kranken zu erkennen. Ziel jeder Heilbehandlung ist letztlich die Harmonisierung
von Yin und Yang. Nur so kann das "Qi" wieder ungehindert fließen
und Gesundheit hervorbringen.
Qi ist einer der wichtigsten Begriffe der chinesischen
Philosophie. Er wird oft mit "Lebensenergie" übersetzt, was mir nicht
ganz passend scheint, es ist eben nur eine Übersetzung die die kulturellen
Hintergründe zwangsläufig nicht transportieren kann. Das ganze
Universum ist aus Qi zusammengesetzt, und dieses ist weder stofflich noch
immateriell. Für das chinesische Denken gibt es diese Differenzierung
ohnehin nicht (siehe oben). Qi wird in erster Linie funktional verstanden
- durch sein Wirken. An sich formlos und unsichtbar, durchströmt
es die Leitbahnen (Meridiane) unseres Körpers, wo man es zumindest
spüren kann. Das altdeutsche Wort "Odem" und das indische "Prana"
kommen dem Gemeinten noch am nächsten.
Diagnostik
mit allen Sinnen
Woran erkennt ein chinesischer Arzt das spezifische
Disharmonie-Muster eines Patienten? Er verzichtet in der Regel auf die
Erhebung von Labordaten und verläßt sich vor allem auf seine
Wahrnehmungen. Die "vier Untersuchungen" (si-zhen) bilden sein diagnostisches
Rüstzeug.
Die erste Ebene, das Beobachten, betrifft Erscheinung
und Benehmen des Patienten, seine Gesichtsfarbe, seine Ausscheidungen
und vor allem die Beschaffenheit seiner Zunge. Eine blasse Zunge weist
auf Blutmangel oder Kälteüberschuß hin, eine rote Zunge
auf Hitzedisharmonie.
Hören und Riechen nehmen auf Atmung,
Stimme und den Geruch des Kranken Bezug. Man unterscheidet zwei grundlegende
Geruchsarten, die der Arzt hauptsächlich durch Erfahrung kennenlernt.
Die dritte Untersuchung, die Befragung, konzentriert
sich unter anderem auf Hitze-Kälteempfinden, Transpiration, Stuhl,
Urin, Kopfschmerzen, Schwindel, Schlaf, Durst und Appetit. Übermäßiger
Nachtschweiß bedeutet Yin-Mangel, starke Kopfschmerzen sind oft
Zeichen eines Übermaßes oder einer Leberstörung. Wäßriger,
ungeformter Stuhlgang korreliert mit Yang-Mangel und Durstlosigkeit meist
mit Kälte. Allgemeine Schlaflosigkeit gilt als "Unfähigkeit
des Yang, in das Yin überzutreten", und auch ein übergroßes
Schlafbedürfnis ist Ausdruck eines Ungleichgewichts.
Der vierten Untersuchung, dem Betasten mißt
man in China die allergrösste Bedeutung bei. "Ich gehe zum Pulsfühlen",
sagen die Chinesen oft, wenn sie den Arzt aufsuchen. Die Bestimmung der
Pulsqualitäten nimmt ungewöhnlich viel Raum ein. Es braucht
eine gründliche Ausbildung und viel Einfühlungsvermögen,
um die komplizierte Pulsdiagnose korrekt durchzuführen. Sie erfolgt
mit drei Fingern gleichzeitig auf drei Druckebenen, wobei Tiefe, Geschwindigkeit,
Breite, Kraft, Form, Rhythmus und Länge des Pulses ertastet und bewertet
werden.
Hat der Therapeut genügend individuelle Symptome und Beschwerden
gesammelt, erstellt er seine Diagnose. Mit dem groben Raster der acht
Grundmuster Yin/Yang, Hitze/Kälte, Innerlich/Äußerlich
und Mangel/Überfluß sowie der fünf Grundsubstanzen Qi,
Blut Säfte, Jing ("Essenz") und Shen ("Geist") im Hinterkopf entwirft
er ein differenziertes Bild. Die einzigartige Beziehung der körperlichen
Zeichen des Patienten zum allgemeinen Yin-Yang-Rhythmus gilt es zu beschreiben.
Westliche Krankheitsnamen und deren enger Organbezug spielen keine Rolle.
In dem, was schulmedizinisch als weiche Schilddrüsenvergrößerung
oder Lymphgefäßgeschwulst diagnostiziert wird, erkennt der
TCM-Arzt womöglich das Yin-Muster "Schleim verweilt in den Leitbahnen".
Heilkräuter
in China, populärer als Akupunktur
Mit welchen Mitteln die Disharmonie behandelt
wird, hängt vom konkreten Einzelfall ab. In der Praxis hat nicht
etwa die Akupunktur, sondern die chinesische Kräutermedizin in etwa
80 Prozent der Fälle den Vorrang. Etwa 6000 Substanzen überwiegend
pflanzlichen, aber auch tierischen oder mineralischen Ursprungs stehen
zur Verfügung. Auch Stoffe menschlicher Herkunft wie Muttermilch
(bei Verbrennungen) oder Kopfhaare (Hautleiden, Verletzungen) werden eingesetzt.
In Europa sind einige der gängigen Arzneien nur schwer zu beschaffen.
Tierische Extrakte finden vor allem aus Gründen des Artenschutzes
selten Verwendung. (wird in meiner Praxis streng beachtet)
Da bei allen Erkrankungen auch der freie Fluß
des lebenserhaltenden Qi in den Leitbahnen gestört ist, werden entlang
dieser Meridiane liegende Reizpunkte stimuliert. Die klassische Theorie
kennt etwa 365 Akupunkturpunkte, die nicht nur per Nadelstich, sondern
auch per Fingerdruck (Akupressur) oder mit Wärme (Moxibustion) behandelt
werden. Das Schröpfen, das
die Durchblutung fördern und den Körper entgiften soll, wird
in diesem Zusammenhang ebenfalls gerne angewendet. Auch die Heilmassage,
die auch vom Kranken selbst praktiziert werden kann, ist weniger Entspannungstechnik
als gezielte Anregung der diversen Funktionskreise im Körperinnern
über die Haut. Das Tai Chi Chuan, ein komplexes Übungssystem,
das langsame, rhythmische und kontrollierte Bewegungen mit bewußter
Atemtechnik verbindet, muß dagegen von einem Lehrer unterrichtet
werden, der die Haltung korrigiert und auf geistig-seelische Bezüge
hinweist. Eine andere Heilmethode, das Qi Gong ("Arbeit an der Lebensenergie"),
geht auf den chinesischen Arzt Hua-Tuo zurück. Er war beeindruckt
von der überlegenen Gesundheit der freilebenden Tiere und entwickelte
nach ihrem Vorbild Bewegungsfolgen, die besonders der Regulation des vegetativen
Nervensystems dienen. Im Gegensatz zu westlichem Fitneßtraining
oder Gymnastik sind fast alle Übungen der TCM so geartet, daß
sie auch für alte und schwache Menschen in Frage kommen und in China
auch intensiv angewendet werden.
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